Der fahrerlose Truck im Verkehr wird Realität
AUTONOMES FAHREN Lange war es ruhig beim Thema autonomes Fahren. Fast gleichzeitig vermelden nun mehrere Forschungsprojekte und Hersteller von Hard- und Software grosse Fortschritte. Wir verschaffen den Überblick.

Feierlaune beim deutschen Forschungs- und Entwicklungsprojekt «Automatisierter Transport zwischen Logistikzentren auf Schnellstrassen im Level 4» – oder kurz ATLAS-L4. Nach drei Jahren zogen die zwölf Projektpartner aus Industrie, Wissenschaft, Softwareentwicklung und Infrastruktur Anfang Mai eine erfolgreiche Bilanz: «Der autonome oder fahrerlose Truck im Strassenverkehr wurde dank der Arbeit von rund 150 Ingenieurinnen und Ingenieuren Realität!» MAN Truck & Bus, Knorr-Bremse, Leoni, Bosch, Fernride, BTC Embedded Systems, Fraunhofer AISEC, Technische Universität München, Technische Universität Braunschweig, TÜV SÜD, Autobahn GmbH und das Würzburger Institut für Verkehrswissenschaften (WIVW GmbH) hatten dafür ihre Kräfte gezielt gebündelt.
Das schwergewichtige Konsortium hatte sich in dem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderten und mit einem Gesamtbudget von 59,1 Mio. Euro ausgestatteten Projekt zum Ziel gesetzt, einen autonom fahrenden Lkw für den Hub-to-Hub-Transport auf die Schnellstrassen zu bringen. Basis dafür war das 2021 verabschiedete Gesetz, das autonomes Fahren auf fest definierten Strecken unter einer technischen Aufsicht grundsätzlich ermöglicht.

«Die Entwicklung und Integration der für den sicheren Einsatz notwendigen redundanten Komponenten wie Lenkung, Bremse und Bordnetz sowie das Erstellen eines Validierungskonzepts erforderte interdisziplinäre Kompetenz und enge Teamarbeit. Als Konsortium haben wir mit dem Projekt bewiesen: Autonom fahrende Lkw sind realisierbar», resümiert Dr. Frederik Zohm, Vorstand für Forschung und Entwicklung bei MAN Truck & Bus.
Die Arbeit von ATLAS-L4 kann nun als Basiskonzept für künftige Entwicklungen genutzt werden, wobei für einen autonomen Truck in Serie noch diverse Detailfragen geklärt werden müssen. «Wir haben wertvolle Pionierarbeit geleistet, indem wir für die technische Machbarkeit von autonomen Trucks den praktischen Nachweis erbracht haben», so Projektkoordinator Sebastian Völl, MAN Truck & Bus. «Diese Konzepte fliessen nun in die weitere Entwicklungsarbeit zur Serienentwicklung von autonomen Lkw ein.»

Der fahrerlose Truck ist bei Aurora bereits im Einsatz
Schon weiter vorangeschritten scheint man in den USA zu sein. Das US-Jungunternehmen Aurora setzt auf der Interstate 45 zwischen Houston und Dallas seit Anfang Mai autonom fahrende Lkw ein.
Aurora testet seine autonomen Trucks zwar schon länger, doch bis jetzt aus Sicherheitsgründen immer mit einem Fahrer hinter dem Lenkrad. Da dieser laut der Firma auf den 1,3 Mio. gefahrenen Testkilometern niemals eingreifen musste, wagte das Unternehmen nun den nächsten Schritt.
Bei der ersten dieser voll autonomen Fahrten auf der 387 Kilometer langen Strecke war Chris Urmson, CEO und Mitbegründer von Aurora, mit an Bord, allerdings auf der Rückbank. «Der ‹Aurora Driver› hat perfekt funktioniert, und ich werde diesen Moment nie vergessen», sagt der Manager. An Bord des serienmässigen Fahrzeugs, das mit dem Fahrersystem nachgerüstet worden ist, befinden sich rund zwei Dutzend Sensoren, darunter Kameras, Mikrofone, Radargeräte und Lidar. Alle Daten werden vom Bordcomputer in Echtzeit ausgewertet und in Anweisungen an die Lenkung, das Bremssystem und das Gaspedal umgesetzt. Die Sensoren ermöglichen die Vorausschau auf einer Strecke von 450 Metern, selbst in der Nacht. Fussgänger, die sich auf die Autobahn verirrt haben, sollen die Sensoren bis zu elf Sekunden früher erkennen als ein menschlicher Fahrer.
Aurora arbeitet mit zahlreichen Lkw-Herstellern zusammen, darunter Volvo Trucks und Paccar. Zudem sind an der Entwicklung der autonomen Fahrsysteme der deutsche Autozulieferer Continental und der Chip-Hersteller Nvidia beteiligt.

Freightliner Cascadia ist «Autonomous-Ready»
Daimler Truck North America hat Mitte April damit begonnen, sein neuestes Flaggschiff für die autonome Testflotte von Torc Robotics, einer Tochtergesellschaft von Daimler Truck, auszuliefern. Der fahrerlose Truck in der «autonomous-ready»-Version basiert auf dem im vergangenen Jahr vorgestellten Freightliner Cascadia der fünften Generation und soll in Zukunft in Serienproduktion gehen.
Um autonomes Fahren gemäss SAE-Level 4 zu ermöglichen, wurde gezielt eine doppelte Auslegung für sicherheitskritische Systeme – also Bremsen, Lenkung, Stromversorgung und Kommunikationsnetzwerk – für einen sicheren Fahrbetrieb ohne Fahrer entwickelt und in die Freightliner Cascadia-Plattform integriert. Zusätzlich zu den bestehenden Teststrecken in New Mexico, Texas und Arizona wird dieser fahrerlose Truck auch im autonomen Fahrmodus auf einer neuen Route in Texas zwischen Laredo und Dallas getestet. Daimler Truck und Torc wollen 2027 autonome Lkw der SAE-Stufe 4 in den USA auf den Markt bringen.

In Deutschland erstmals teilautonom unterwegs
Iveco und Plus, ein im Silicon Valley ansässiges KI-orientiertes Softwareunternehmen für autonomes Fahren, haben nach mehreren Monaten intensiver Tests und Validierung der Technologie sowie Fahrerschulungen einen öffentlichen Strassentest erfolgreich abgeschlossen. Dabei wurden Waren unter realen Bedingungen auf der Strecke zwischen zwei Lagern in Krefeld und Hennef ausgeliefert.
Ausgestattet mit der hochautomatisierten Fahrlösung von Plus sowie fortschrittlichen Sensoren wie Lidar, Radar und Kameras bietet dieser Iveco S-Way dem Fahrer eine 360-Grad-Rundumsicht und neue Möglichkeiten zur Verkehrs- und Strassenüberwachung. Die autonome Fahrtechnologie führt – unter Überwachung durch den Fahrer – normale Autobahnmanöver sicher und automatisch durch, darunter Spurzentrierung, vom Fahrer initiierte oder vom System vorgeschlagene Spurwechsel sowie das Fahren im Stau.