Im Volvo FH Electric über Bözberg und Staffelegg

ELEKTROTEST Vor kurzem testeten wir den Volvo FH Electric auf heimischen Strassen. Der Fahreindruck des 38-Tonnen-Testzugs war unspekakulär normal – genauso, wie es auch sein sollte.

Der Volvo FH Electric ist startklar. Vom Schweizer Hauptsitz der Volvo Group in Dällikon zogen wir mit der 38-Tonnen-Kombination eine abwechslungsreiche Runde mit stattlichem Berganteil.
Der Volvo FH Electric ist startklar. Vom Schweizer Hauptsitz der Volvo Group in Dällikon zogen wir mit der 38-Tonnen-Kombination eine abwechslungsreiche Runde mit stattlichem Berganteil.

Elektrolastwagen beginnen auch im schweren Segment eine zunehmend wichtige Rolle zu spielen, weshalb es uns in den letzten paar Jahren immer wieder auf speziellen Veranstaltungen ermöglicht wurde, die Technologie auch hinter dem Lenkrad selber zu er-fahren. Meist allerdings fanden diese Fahrtermine im Ausland statt und beschränkten sich auf wenige Kilometer, ohne grosse Lasten – erste Eindrücke eben. Das traf bislang auch auf Volvo Trucks zu, wo wir bereits bei der Prototypenvorstellung Ende 2019 auf dem Testgelände in Göteborg ein paar Hundert Meter mit den schweren E-LKW unterwegs sein konnten. Im Herbst 2021, bei der Serienvorstellung, bot sich erneut eine Möglichkeit, die uns ebenfalls im Raum Göteborg rund 40 Kilometer auf die Strasse brachte. Diese unvermeidbare Oberflächlichkeit verschwindet augenblicklich, wenn man sich mit einem E-Truck im uns bekannten Verkehrsgeschehen bewegt.

Drei Motoren im Einsatz

Uns stellt Volvo Trucks am Hauptsitz in Dällikon je einen FM- und FH-Sattelzug zum Test zur Verfügung. Da Antriebsstrang, Gewichte und Zugdimensionen bei beiden Prüflingen identisch sind, entscheiden wir uns dafür, nur den FH Electric zu fahren, um den Fahreindruck nicht durch kurze Einzelfahrten zu marginalisieren. Die ersten schweren Electric-Volvo sind übrigens allesamt als Zugmaschinen konzipiert, doch laufen inzwischen auch Fahrgestellversionen vom Band. Da der Elektromotor der schweren E-LKW mit dem bekannten I-Shift-Getriebe gekoppelt ist, durchlaufen E-Truck und Diesel- wie CNG-Modelle den Produktionsprozess auf der gleichen Produktionsstrasse. Standardmässig bietet der FH Electric eine Motorenleistung von 490 kW (666 PS) und 2400 Nm Drehmoment. Dafür kombiniert Volvo drei Elektromotoren. Für spezielle Anwendungen, wie die städtische Zulieferung, gibt es inzwischen auch eine Fahrgestellversion mit Day Cab, welche lediglich mit zwei Motoren und entsprechend rund 325 kW (442 PS) ausgestattet ist.

FH und FM Electric (rechts) an der Ladesäule in Dällikon. Die Technologie ist in beiden Modellen identisch, die Trucks unterscheiden sich eigentlich nur mit dem Fahrerhaus.
FH und FM Electric (rechts) an der Ladesäule in Dällikon. Die Technologie ist in beiden Modellen identisch, die Trucks unterscheiden sich eigentlich nur mit dem Fahrerhaus.

Nach kurzer Einführung starten wir die Maschine, was einem lautlosen Hochfahren der Systeme gleichkommt und nach wenigen Sekunden mit dem Aufleuchten der «Ready»-Leuchte abgeschlossen ist. Genauso lautlos setzt sich der auf 38 Tonnen aufgelastete Sattelzug in Bewegung. Trotz 12-Gang-Getriebe fährt der Lastwagen in bester E-Mobil-Manier rucklos an und wechselt erst nach beachtlichem Tempozuwachs sanft und rasch in eine höhere Stufe. Im Normalfall fahren die schweren Volvo Electric im siebten Gang an und schalten nur selten in die untere Getriebegruppe. Dies ist beispielsweise bei Schwerlasttransporten der Fall, oder bei niedrigem Tempo an einem steilen Streckenabschnitt.

Grosse Stille

Als Teststrecke haben wir eine Mischung aus Autobahn, Überland- und Hügelstrecken ausgewählt, um möglichst viele Fahrsituationen der hügeligen Schweiz abdecken zu können. Auffällig leise bleibt es im Truck auf der Autobahn, was neben dem Elektroantrieb auch auf die Massnahmen zur Lärm- und Vibrationsdämmung zurückzuführen ist, die Volvo Trucks bereits bei der im Herbst 2020 erfolgten Neuauflage des FM/FH mit Diesel einfliessen liess. Das Dirigieren durch den Stadtverkehr erfordert die gleiche Aufmerksamkeit und Umsicht wie mit dem Diesel-LKW, wobei im geprüften Volvo FH Electric die Abbiegekamera rechts, die sich automatisch beim Setzen des rechten Blinkers aktiviert, von grosser Hilfe ist.

Das Hauptinstrument ist im FM und im FH Electric als grosses Display ausgelegt, mit allen für den E-Betrieb nötigen Angaben. (Bild: Volvo)
Das Hauptinstrument ist im FM und im FH Electric als grosses Display ausgelegt, mit allen für den E-Betrieb nötigen Angaben. (Bild: Volvo)

Mit 490 kW ist der FH Electric gut bestückt, wenn man bedenkt, dass Diesel-Trucks meist über 100 kW weniger verfügen. Gleichwohl spürt man die ganze Last des Fahrzeugs an steilen Passagen, wie beispielsweise auf der sechs Kilometer langen Steigung von Brugg hoch auf den Bözbergpass, auf welcher gut 220 Höhenmeter überwunden werden müssen. Auf dieser Strecke wechseln sich flachere Abschnitte mit steilen Passagen ab, sodass wir in einem für einen LKW gewohnten Tempo die Steigung erklimmen. Auf der anderen Seite runter bis nach Frick nutzen wir die 200 Höhenmeter für die Rekuperation der kinetischen Energie, bevor es erneut auf die Staffelegg hoch und wieder runter nach Aarau geht.

Rekuperation

Die ganze Runde bis zurück nach Dällikon misst 95 Kilometer und dauerte knapp zwei Stunden. Dabei attestiert uns der Bordcomputer einen Durchschnittsverbrauch von gut 200 kWh/100 km, was angesichts des hohen Steigungsanteils ein guter Wert ist. Bemerkenswert dabei sind die hohen Rekuperationswerte, denn dem gesamten Energieverbrauch von 192 kWh steht eine Rekuperation von 69 kWh gegenüber, die im Gefälle und im übrigen Schiebebetrieb angefallen sind. Ohne Rekuperation läge der Energieverbrauch unserer Runde auf über 260 kWh; ein handfester Vorteil des E-Trucks, denn ein Diesel-LKW kann bei der Bergabfahrt und bei Schub keine Energie rückgewinnen, sondern lediglich den Energieverbrauch unterbrechen.

Der Bordcomputer zeigt nach der Fahrt alle relevanten Details, wie u.a. die verbrauchte Energie, den Durchschnittsverbrauch, die Rekuperation und die durchschnittlich gefahrene Geschwindigkeit.
Der Bordcomputer zeigt nach der Fahrt alle relevanten Details, wie u.a. die verbrauchte Energie, den Durchschnittsverbrauch, die Rekuperation und die durchschnittlich gefahrene Geschwindigkeit.

Im FH Electric war die aktuell maximale Akku-Grösse von 540 kWh installiert, die sich aus sechs Batteriepacks à 90 kWh zusammensetzt. Die gefahrene energieintensive Strecke könnte damit mit diesem 38-Tonner rund 2,8 Mal zurückgelegt werden, es läge demnach eine Reichweite von rund 265 Kilometern drin. Ist der Lastwagen aber vor allem in der Ebene unterwegs, beläuft sich der Erfahrungswert des durchschnittlichen Energieverbrauchs beim getesteten Lastwagen auf 140 kWh/100 km und weniger. Damit ist man ohne Zwischenladung gut 380 Kilometer weit unterwegs, was sich zeitlich bei ununterbrochener Fahrt auf rund 4,5 Stunden belaufen würde und damit ziemlich direkt auf den Beginn der gesetzlich vorgeschriebenen Lenkzeitpause fällt. Wer dann an einen leistungsfähigen Schnelllader andocken und sich die doppelte Lenkzeitpause leisten kann (90 Minuten), lädt genug Energie für die zweite Tageshälfte mit dem E-Truck. Dazu sind allerdings Ladeleistungen von 250 kW nötig, um nach einer Stunde und 25 Minuten auf 80 Prozent Ladung zu kommen.

Mit bis zu 540 kWh Batteriekapazität dauert eine Schnellladung mit 250 kW Leistung eine Stunde 25 Minuten, bis wieder 80 Prozent Ladestand erreicht sind.
Mit bis zu 540 kWh Batteriekapazität dauert eine Schnellladung mit 250 kW Leistung eine Stunde 25 Minuten, bis wieder 80 Prozent Ladestand erreicht sind.

CO2-freier Chassisstahl

Abschliessend sei erwähnt, dass Volvo Trucks seine Bemühungen zur Reduktion der CO2-Emissionen nicht auf den Antrieb beschränkt. Vielmehr ist die Volvo Group auch stark engagiert darin, dass der Stahl fürs Chassis aus CO2-freier Produktion stammt. Hierzu arbeitet Volvo mit dem schwedischen Stahlhersteller SSAB zusammen, der für die Reduktion des Eisenerzes Wasserstoff statt Koks einsetzt. Ähnliche Bemühungen mit grünem Stahl legen inzwischen auch die anderen OEM an den Tag.

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