Weniger Lärm mit dem Elektrolastwagen

ELEKTROMOBILITÄT Die Pistor AG gehört zu den ganz Grossen im Schweizer Lebensmittelhandel – und auch zu den Innovativsten. Denn seit Juni fährt bereits der dritte Elektrolastwagen seine Touren. Es handelt sich um den weltweit ersten batterieelektrischen Dreiachser im Kundeneinsatz.

Pistor AG E-Force Elektrolastwagen Dreiachser
Die Welt blickt nach Rothenburg: Von hier aus operiert der weltweit erste Elektrolastwagen-Dreiachser im Kundeneinsatz.

Das in Rothenburg und Chavornay angesiedelte Unternehmen setzt für den temperaturgeführten Verteilerverkehr im Grossraum Zürich den inzwischen dritten Elektro-Lastwagen des Schweizer Herstellers E-Force ein. Die ersten beiden Zweiachser sind seit Mai 2015 und Juni 2017 in und um Luzern im Einsatz. Als Leiter Distribution ist Armin Knüsel – zumindest für jene in vergleichbarer Position – der Mann der Stunde, denn die Erfahrungen von Pistor und sein Know-how könnten wegweisend sein: Wer sich schon nicht getraut, selber eine Pionierrolle einzunehmen, der möchte zumindest einer der ersten Follower werden.

Dienstleistung als Unterscheidungsmerkmal
Im Verteilerverkehr sind neben dem Transport inzwischen auch Dienstleistungen entscheidend. «Nur Transport können viele», stellt Knüsel fest. Pistor ist als Einkaufsgenossenschaft entstanden und wurde in dieser Form in der Schweiz zur Nummer 1 für das Bäcker- und Confiseurgewerbe. Doch weil in diesem Markt kein Wachstum mehr möglich war, wurde das Geschäft auf die Gastronomie ausgeweitet. Hier steht Pistor allerdings in direkter Konkurrenz zu den beiden orangenen Riesen. «Darum ist es wichtig, dass wir in einer Anfahrt alles liefern können.» Alle 85 Fahrzeuge der Flotte – 70 sind in Rothenburg stationiert und 15 in Chavornay – verfügen daher über drei Temperaturzonen: nicht gekühlt, gekühlt 5 Grad und tiefgekühlt minus 18 Grad. Im Schnitt fährt ein LKW täglich 15 Kunden an, um sie mit den Handels­produkten (darunter auch Eigenmarken) zu versorgen. «Ich bin kein Verfechter von kleineren Fahrzeugen», macht Knüsel klar. «Kleinere Fahrzeuge bedeuten mehr Fahrzeuge auf den Strassen, was wiederum zu mehr Stau führt. Uns ist ein sehr hoher Füllgrad wichtig, er liegt bei deutlich über 90 Prozent. Zudem wird ein Drittel unserer Wareneingänge auf der Rückfahrt von Auslieferungen abgeholt.» Die sehr moderne Flotte besteht aus Euro-5- und Euro-6- sowie drei Elektrolastwagen. «Wir stellen je länger, je mehr fest, dass Abgase bei der Bevölkerung zwar ein Thema sind, aber Lärm sie immer mehr beschäftigt.»

Pionier in Sachen Elektromobilität
Aus diesem Grund evaluierte Pistor 2014, mit welchen LKW-Arten man Lärm reduzieren könne. So stiess man auf den Schweizer Anbieter E-Force und erfuhr, dass Elektro-Trucks von der LSVA befreit sind. Im Mai 2015 ging der erste E-Force bei Pistor in Betrieb. «Die Anfangsinvestition ist zwar teuer, aber über die Zeit sind die Gesamtbetriebskosten günstiger als mit Euro 6.» Knüsel geht davon aus, dass, falls der Bundesrat eines Tages doch beschliessen sollte, die LSVA auch auf Elektrolastwagen auszudehnen, diese bis dann dafür wesentlich günstiger geworden sind, vielleicht sogar gleich teuer wie Diesellastwagen. Zwar war Lärm das ausschlaggebende Kriterium, aber der Wettbewerbsvorteil spielt heute auch eine Rolle, wie Knüsel erzählt: «Das Bürgenstock Resort beispielsweise hat in der Ausschreibung klar vorgegeben, dass sie mit einem umweltfreundlichen Antrieb beliefert werden wollen. Die Kunden haben je länger, je mehr ihre Ansprüche und sind sensibel. Immer wieder kommt die Frage: Was habt Ihr für Motoren? Sind es Dreckschleudern? Diesel hat nach wie vor seine Berechtigung, etwa wenn wir nach St. Moritz oder Poschiavo fahren. Das richtige Fahrzeug am richtigen Ort einzusetzen, das ist ganz wichtig.» Bei Pistor ist die Aufteilung klar: Die Bahn wird für den Nachtsprung genutzt, Elektrolastwagen für den Verteilerverkehr in den Agglomerationen und der Dieselmotor bei längeren Distanzen.

Im Juni 2017 stiess der zweite E-Force zum Fuhrpark und seit Juni 2018 ist nun der dritte Elektro-LKW im Einsatz. Dieser gar als Weltpremiere: Er ist der weltweit erste Elektro-­Dreiachser im Kundeneinsatz, auch für längere Distanzen. «Wir wollen den Einsatz unserer Fahrzeuge nun analysieren und auswerten. Die Ergebnisse nehmen wir dann als Grundlage für die Planung inklusive Budgetierung der nächsten drei Jahre. Die ersten Erfahrungen sehen aber sehr gut aus und sind vielversprechend. Alle Fahrzeuge haben unsere Erwartungen zu 100 Prozent erfüllt.» Dazu kommt, dass Lebensmitteltransport sich besonders gut für Elektromobilität eignet. «Wenn die Fahrzeuge nach Hause kommen, können wir sie an die Rampe stellen und laden.» Langfristig schätzt Knüsel eine Elektrifizierungsquote bei Pistor von 30 bis 50 Prozent als realistisch ein.

Stickstoffkühlung als eigene Lösung
Eine weitere Besonderheit von Pistor ist der Einsatz von Stickstoffkühlung bei den Dieselfahrzeugen. «Herkömmliche Kühlsysteme hinken immer etwas hinterher. Sie sind sehr laut und nutzen oft einen Euro-3-Dieselmotor als Aggregat», erklärt Knüsel. «Wir wollten ein System, das keinen Lärm macht, eine gute Kälteleistung und keinen Ausstoss hat.» Das Stickstoffkühlsystem wurde hybrid ausgerichtet: Steht das Fahrzeug an der Rampe, wird es über einen elektrischen Kühlkompressor gekühlt. Fährt der LKW um 5 Uhr morgens ab, treibt der Nebenantrieb des Lastwagens den Fahrverdichter an. Und steht der LKW auswärts, kühlt das System automatisch mit Stickstoff. Dazu wurde der Wärmetauscher mit zwei Kreisläufen ausgestattet. Jeden Abend tankt der Chauffeur nach seiner Tour an der eigenen Tankstelle Diesel und Stickstoff.

Der erste E-Force von Pistor war ebenfalls mit diesem System ausgestattet. In der Nacht wurde er elektrisch vorgekühlt, tagsüber übernahm Stickstoff diese Aufgabe. Doch obwohl das System funktionierte, wurde es beim zweiten E-Force nicht mehr eingesetzt. Denn dass der Elektro-LKW trotzdem zur Tankstelle muss, um Stickstoff zu tanken, ist nicht effizient. «Ich will das Fahrzeug an die Rampe stellen und laden.» Darum wurden die E-Trucks 2 und 3 mit einem Kühlsystem von Frigoblock versehen, das über die grosse Batterie betrieben wird. «Die Traktionsbatterie versorgt alles: Fahren, Hebebühne, Kühlung.»

Geplant für zwölf Jahre im Einsatz
«Ob allenfalls die Batterie ausgewechselt werden muss, wissen wir noch nicht. Das wird sich zeigen.» Lastwagen Nummer 1 beliefert die Stadt Luzern, da genügt die Reichweite von 100 km. Nummer 2 ist etwas weiter um Luzern herum unterwegs und verfügt über 150 km Reichweite, allerdings wie oben beschrieben mit einem anderen Kühlsystem. Truck Nummer 3 ist in Zürich unterwegs und sollte eine Reichweite von über 200 km sicherstellen. «Wir haben gerade eine Tour ausgewertet, da war die Batterie nach 180 km noch halb voll. Im Winter ist die Leistung schon weniger gut, wenn es sehr lange sehr kalt ist. Wenn man bei Kunden einstecken könnte, würden 15 bis 20 Minuten bereits helfen, die Reichweite zu verlängern. Da könnten wir bestimmt mit den Kunden reden, es ist im Moment aber noch kein Thema.» Positiv ist die Aussenwirkung. Nicht nur die Kunden sind begeistert, es gibt auch immer wieder Rückmeldungen von Passanten per Mail oder Telefon. «Kein Lärm mehr, stinkt nicht, macht weiter so!», etwa der Wortlaut einer dezidierten Meinung.

Auch intern stiess das Projekt zu Beginn nicht überall auf offene Ohren. «Die Geschäftsleitung war natürlich am Anfang schon kritisch», erinnert sich Knüsel. «Es kamen Fragen. Was bedeutet das von den Kosten her, wie verhält sich das Fahrzeug, funktioniert das, wie sieht es mit Unterhalts- und Reparaturkosten aus? Heute sieht die Geschäftsleitung, dass wir Erfolg haben damit, vor allem das Feedback ist sehr gut und das wollten wir.» Auch die Fahrer muss man für ein derartiges Projekt an Bord holen. «Wir haben Stammfahrer auf den Elektrolastwagen. Man kann dieselangefressene Chauffeure nicht zwingen, auf Elektro zu wechseln. Wir haben dafür an einem Samstag allen Fahrern die Möglichkeit gegeben, mal selber zu fahren. Das Echo war überraschend gut.» Die Entwicklung lässt sich nicht mehr aufhalten. «Bei gewissen Kunden wird man nicht mehr um Elektromobilität herumkommen. Für mich ist wichtig, dass man Erfahrungen macht und das Know-how erhält. So wissen wir, worum es geht.»

Die Pistor AG ist das führende und unabhängige Handels- und Dienstleistungsunternehmen für die Bäcker- und Confiserie­branche sowie für die Gastronomie und die Pflege. Die Geschäftsgrundlagen sind ein umfassendes Sortiment, innovative Dienst­leistungen und ein grosses Spezialisten-Netzwerk. Das 1916 als Einkaufsgenossenschaft des Schweizerischen Bäckermeisterverbands in Luzern gegründete Unternehmen ist seit 2002 eine Genossenschaftsholding. Seit 1973 sind die Lastwagen rot mit weisser Schrift unterwegs, 1983 erfolgt der Wechsel von Luzern in die neuen Gebäude in Rothenburg. 2007 entsteht die neue Verteil­zentrale Westschweiz in Chavornay. 2015 nimmt Pistor den ersten Elektrolastwagen in Betrieb. «Pistor» ist das lateinische Wort für «der Bäcker/der Müller».

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