Die Unterschiede sind in Bonn deutlich auszumachen

ELEKTROBUS-VERGLEICH Die Nachfrage nach vollelektrischen Linienbussen wächst stetig, sodass immer mehr bekannte und weniger bekannte Hersteller ihr Produkt vermarkten. Dabei sind die Unterschiede bei Qualität und Preis ziemlich gross. Dies zeigt sich erneut beim von "Omnibusspiegel" organisierten Test in Bonn.

Elektrobus-Test Bonn 2023 TIR transNews
Sieben der neun Testbusse auf dem Betriebsgelände von SWB Bonn (v.l): Quantron Citaris, Ikarus 120 E, Ebusco 3.0 12 LF, Hess lighTram, Mercedes-Benz eCitaro, Iveco E-Way und, ausser Konkurrenz, MAN Lions City 10 E. Auf dem Bild fehlen der Otokar e-Kent C und der Tremonia Sprinter. Der MAN und der Tremonia laufen wegen ihrer Grösse (unter 12 Metern) ausser Konkurrenz.

Ein wichtiger Partner für den Test der Elektro-Stadtbusse sind die Stadtwerke Bonn (SWB) Bus und Bahn, denn ihr riesiges Betriebsgelände ist die Ausgangsbasis für die Testfahrten. Neben den weit über 200 SWB-Bussen und den rund 100 Trams erscheint unsere Testflotte mit neun Elektrobussen etwas verloren. In der Ausmarchung treten die bekannten Modelle Hess lighTram, Iveco E-Way und Mercedes-Benz eCitaro an, sowie die in der Schweiz noch exotischen Quantron Cizaris, Ebusco 3.0 12 LF, Ikarus 120 E und Otokar e-Kent C. Ausser Konkurrenz, da nicht in der 12-Meter-Klasse, laufen der MAN Lion’s City 10 E und der Kleinbus Tremonia Sprinter City 45 Electric.

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Akribisch werden die Eindrücke auf Testformularen festgehalten, wie hier im Cockpit des Quantron Cizaris. Die Formulare werden im Nachgang im Detail ausgewertet.

Eine Fahrt auf der gut 18 Kilometer langen Testroute dauert rund 50 Minuten. Sie führt vom SWB-Busdepot durch vorstädtische Strassen auf die Autobahn und aus der Stadt hinaus. Es werden sämtliche Haltestellen entlang der Strecke angefahren und dort jeweils mindestens eine Türe kurz geöffnet. Damit lassen sich Anhalten und Wegfahren prüfen sowie die Türfunktionen testen. Der letzte Streckenabschnitt führt über eine kurvige Strasse einen Berg hinauf, der aus Schweizer Sicht eher einem Hügel entspricht. Sei’s drum, dieser Berg verschafft auf jeden Fall einen deutlichen Eindruck vom Beschleunigungsvermögen jedes Busses und von dessen Rekuperationskapazitäten. Zurück geht es auf derselben Strecke bis zum SWB-Busdepot.

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Die Teststrecke ist vielschichtig, besteht aber zu einem grossen Teil aus typisch städtischem Geläuf.

Grosse Unterschiede

Wir setzen uns dabei nicht nur hinter das Lenkrad jedes Busses, sondern prüfen sämtliche Fahrzeuge auch aus Fahrgastsicht. Zwischen den Fahrten und sonst über die Testtage werden die einzelnen Hersteller mit ihren Produkten intensiv durchdiskutiert. Dabei wird bald klar, welche Stärken und Schwächen die einzelnen Busse prägen. Und es kristallisiert sich heraus, welche die anspruchsvollen Testkriterien, die sich an den westeuropäischen Standards und Ansprüchen orientieren, besser oder weniger gut erfüllen können.

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Der Otokar e-Kent C, bereit für die Teststrecke.

Die sieben 12-Meter-Busse sind optisch wie auch beim Fahrverhalten sehr verschieden. Das fällt gerade beim Fahrerplatz stark ins Gewicht. Während die einen Fahrzeuge schöne und durchdachte Armaturen vorzuweisen haben, sind andere sehr schlicht und bescheiden eingerichtet. Allerdings bieten gerade die Busse mit den weniger praktischen Armaturen gute Spiegelkamerasysteme anstelle herkömmlicher Spiegelarme. Weniger gross fallen die Unterschiede bei den Fahrgasträumen aus. Sie sind meist sehr schön und praktisch eingerichtet und verfügen über genügend Haltestellenknöpfe und Haltestangen. Einzig beim Lärmpegel und der Übertragung der Fahrbahnunebenheiten sind wieder grosse Unterschiede zwischen einzelnen Modellen feststellbar.

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Die Gestaltung der Fahrgasträume kann bei allen Anbietern überzeugen, sowohl in der Aufteilung als auch in der Praxiseinrichtung, wie Haltestangen und Haltestellenknöpfe.

Beste Gesamtwertung in Bonn

Eine eigentliche Rangliste ist aus dem Test nicht hervorgegangen, einzig ein Sieger ist ernannt worden. Wenig überraschend hat sich bei den 12-Meter-Elektrobussen der Mercedes-Benz eCitaro durchgesetzt. Ob als Fahrer oder Passagier – im eCitaro fühlt man sich ganz einfach wohl. Der Fahrer sitzt bequem, der Fahrerplatz ist übersichtlich gestaltet und griffgünstig eingerichtet. Das Lenkrad liegt gut in der Hand und der Bus lässt sich fein und präzise manövrieren. Einzig die Fahrersitzverstellung gibt ab und an Anlass für Diskussionen. Zudem wirkt das Surren der Servolenkung lästig und etwas störend.

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Hat die aufwändige gestaltete und harte Ausmarchung in Bonn für sich entschieden: Mercedes-Benz eCitaro.

Der eCitaro zeigt das ruhigste Fahrverhalten unter den 12-Meter-Mitbewerbern. Die Achsen übertragen weniger Schläge als die anderen Busse und der auf der Hinterachse laufende Antrieb ist selbst bei höherer Geschwindigkeit sehr leise. Im Fahrgastraum herrscht weder bei den Haltestangen noch bei den Haltestellenknöpfen ein Mangel. Die Sitzplatzanordnung ist praxisgerecht und auch für lange Beine findet sich genügend Raum zwischen den Sitzreihen. Die Türen schliessen sauber und synchron, sodass rasch weitergefahren werden kann. Auf dem erwähnten Bergabschnitt lässt der eCitaro etwas Durchzugskraft vermissen, überzeugt aber umso mehr bei der Rekuperation. Übers Ganze gesehen, holt sich der eCitaro von Mercedes-Benz verdient die beste Gesamtwertung.

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Bewährt und aus Bellach: das Hess lighTram, wie es in diversen Schweizer Städten anzutreffen ist.

Made in Switzerland

Die Carrosserie Hess AG aus Bellach tritt in Bonn mit ihrem vollelektrischen lighTram an. Dieses zeigt sich von seiner besten Seite und schneidet in der Bewertung ebenfalls sehr gut ab. Am Fahrgastraum gibt es nicht viel auszusetzen. Das lighTram kommt hell und einladend daher. Den Passagieren stehen gut platzierte Haltestangen und in der Anzahl genügend Haltestellenknöpfe zur Verfügung. Von der Fahrbahn übertragene Schläge und Vibrationen halten sich in Grenzen und bleiben eigentlich unauffällig, ebenso die Geräusche von der Hinterachse. Die drei Türen wirken robust und schliessen schnell und sauber.

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Der Quantron Cizaris gehört noch zu jenen Fahrzeugen, die durch laute Geräusche und harte Stösse negativ auffallen.

Bei den Armaturen wird etwas Verbesserungspotenzial festgestellt. Sie wirken sehr einfach und im negativen Sinn fast ein wenig traditionell. Trotzdem fühlt man sich auf dem Fahrerplatz wohl, der Sitz ist bequem und das Lenkrad liegt gut in der Hand. Die Spiegelkamerasysteme bieten gute Sicht auf beide Seiten, die Bildschirme belegen aber zusätzlich zur breiten A-Säule einen grossen Teil des Sichtfeldes in der vorderen linken Ecke – fehlende Sicht also, die beim vorausschauenden Kurvenfahren und beim Einfahren in einen Kreisverkehr benötigt würde.

Dafür legt das Hess lighTram ein sehr gutes Fahrverhalten an den Tag. Trotz den auf dem Dach platzierten Batteriepaketen bietet es eine gute Kurvenstabilität. Die Wirkung des Rekuperationshebels ist ebenfalls sehr gut, doch die Geräusche des Aufbaus und die Vibrationen sind auf dem Fahrerplatz etwas störend. Am Berg zeigt der Hess genügend Leistung, wird jedoch hier vom einen oder anderen Konkurrenten überboten. Das Hess lighTram macht seinem Namen alle Ehre, da es mit der nach hinten geneigten Frontscheibe einem Tram sehr ähnlich sieht. Wie dies der Fahrer sieht, wenn er der Sonne dadurch noch mehr ausgesetzt ist, sei dahingestellt. Der Schweizer E-Bus macht aber im Gesamten einen sehr guten Eindruck und gehört in Bonn sicher zu den besten der sieben 12-Meter-Protagonisten.

Elektrischer Weg

Der zweitürige Iveco E-Way mit seinen grünen und rot-orangen Sitzen kommt etwas speziell daher. Die Sitzlehnen sind steiler, so findet der dahinter sitzende Mitfahrende etwas mehr Platz im Fussraum. Haltestangen und Haltestellenknöpfe sind genügend vorhanden. Bei höherer Geschwindigkeit sind die Geräusche der Hinterachse sehr intensiv. Fahrwerksstösse und Vibrationen sind aber durchaus akzeptabel. Auffallend ist auch die grosszügig dimensionierte Rampe für Rollstühle an der hinteren Tür.

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Beim E-Way von Iveco gefallen nicht nur die grünen und orangen Sitzbezüge, er bietet ein interessantes Gesamtpaket.

Im einladenden Fahrerplatz sind die Armaturen übersichtlich und praktisch angeordnet. Das Lenkrad ist gut einstellbar und der Fahrer sitzt rundum wohl. Die Sicht auf alle Seiten ist einwandfrei, die Kamerasysteme sind gut platziert und geben dem Fahrer die nötige Sicherheit. Der Iveco zeigt auch ein gutes Fahr- und Bremsverhalten. Am Berg ist er nicht allzu leistungsfähig. Die Vibrationen und die Schläge an der Vorderachse erzeugen relativ viel Lärm, was für den Fahrer auf die Dauer anstrengend wird. Gleichwohl gibt der Iveco E-Way ein gutes Gesamtbild ab und zeigt sich für den innerstädtischen Einsatz bestens gerüstet.

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Der Otokar e-Kent C, bereit für die Teststrecke in Bonn.

Eher exotisch

Bei den vier Fahrzeugen Quantron Cizaris, Ikarus 120 E, Otokar e-Kent C und Ebusco 3.0 12 LF sind noch viele Aspekte nicht ganz ausgereift, trotzdem sollte man auch diesen vollelektrischen Bussen Beachtung schenken. Diese nun getesteten Hersteller werden ihre Produkte weiter aufwerten und in Zukunft bei den Elektrobussen noch stärker mitwirken. Gerade die Fahrgasträume lassen sich bei diesen Fahrzeugen durchaus sehen. Auch die Chauffeurplätze sind grösstenteils in Ordnung. Hingegen besteht vor allem bei Vibrationen und anderen Innenraumgeräuschen noch diverser Nachholbedarf, denn sie sind noch deutlich ausgeprägter als bei den mitgeprüften westeuropäischen E-Bussen.

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Aus Ungarn kommt der Ikarus 120e, der ebenfalls in der 12-Meter-Version mitmischt.

Einige der genannten Testbusse fallen zudem mit zu vielen und zu lauten akustischen Signalen bei der Betätigung des Blinkers oder beim Öffnen und Schliessen der Türen auf. Deutlich zu spüren ist auch die Seitenneigung bei Kurvenfahrt, sprich die nicht vorhandene Seitenstabilität einiger Modelle, welche die Mehrheit oder gar sämtliche Batteriepakete auf dem Dach platziert haben. Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Reichweiten, die sich noch sehr unterschiedlich zeigen. Die Rekuperation wird bei den meisten Bussen über einen Rekuperationshebel und über das Bremspedal gesteuert. Der Energieverbrauch konnte bei allen Fahrzeugen in einer ähnlichen Grössenordnung gemessen werden.

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Der Ebusco 3.0 12 LF gefällt unter anderem mit hochwertigem Spiegelkamerasystem.

Zwei ausser Konkurrenz in Bonn

Zusätzlich zu den 12-Meter-Bussen stellen sich in Bonn ein Minibus und ein 10-Meter-Bus der Beurteilung der Linienbusfachleute in diesem Test. Der Minibus wird von der Tremonia Mobility GmbH mit Sitz in Dortmund hergestellt. Dabei handelt es sich um die ehemalige Mercedes-Benz Minibus GmbH. Der rund 7,3 m lange Kleinbus Tremonia Sprinter City 45 Electric ist mit 14 Sitzplätzen ausgestattet und verfügt zudem über einen Platz für einen Rollstuhl oder für sechs Stehplätze. Bei ihm zeigt sich die Fahrersitzeinstellung als eine kleine Herausforderung, die uns nicht ganz zufriedenstellt. Ansonsten kann dem Minibus kaum etwa Negatives nachgesagt werden. Er lässt sich dank seiner kompakteren Masse bestens manövrieren und Nebengeräusche sowie Vibrationen bleiben von unauffälliger Natur. Insgesamt ein absolut taugliches Fahrzeug für Aufgaben, bei denen kompaktere Abmessungen oder geringere Passagierkapazitäten benötigt werden.

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In Bonn ausser Konkurrenz, sonst wäre der MAN Lions City 10 E ein heisser Anwärter auf die Krone. Seine Plattform war vor Jahresfrist mit dem «Bus of the Year 2023» ausgezeichnet worden.

Der kompakte, zehn Meter lange MAN Lion’s City 10 E wird am Bustest in Bonn ebenfalls nicht mit den 12-Meter-Bussen bewertet. Trotzdem ist man sich im Kreis der testenden Fachleute einig, dass das MAN-Grundfahrzeug Lion’s City E zu Recht zum «Bus of the Year 2023» gewählt worden ist. Ob Fahrerplatz, Passagierraum, Fahrverhalten oder Reichweite und Rekuperation – der MAN zeigt sich in allen Bereichen von seiner besten Seite. Auch optisch ist der Lion’s City ein Hingucker. Und wer bei diesem Bus am Steuer sitzt, spürt die im Wagen enthaltene DNA der Fahrfreude. Auch die Passagiere fühlen sich im einladenden, ein gemütliches Ambiente ausstrahlenden Fahrgastraum sicher und gut aufgehoben.

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Ebenfalls ausser Konkurrenz: der Minibus Tremonia Sprinter City 45 Electric aus dem ehemaligen Minibuswerk von Daimler.
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