Saurer-Museum – würdiges Ziel für eine Testfahrt mit Flux Mobility

FLUX MOBILITY Gestartet ist das Winterthurer Start-up Flux Mobility 2022, inzwischen sind seine Elektro-Lieferwagen in verschiedenen Städten im Einsatz. Auf der Testfahrt nach Arbon sprechen wir mit Geschäftsführer Duga Hoti.

Moderne Schweizer Fahrzeugentwicklung besucht ihre geschichtlichen Vorgänger. Duga Hoti neben dem Flux Orbit im Depot des Saurer-Museums. Die Halle im Werk 2 in Arbon ist übrigens für sich speziell, denn sie war dazumal die grösste pfeilerlose Halle der Schweiz.
Moderne Schweizer Fahrzeugentwicklung von Flux Mobility besucht ihre geschichtlichen Vorgänger. Duga Hoti neben dem Flux Orbit im Depot des Saurer-Museums. Die Halle im Werk 2 in Arbon ist übrigens für sich speziell, denn sie war dazumal die grösste pfeilerlose Halle der Schweiz.

Für kleine und mittlere Lieferwagen gibt es bereits etliche leistungsfähige E-Versionen. Im Übergang zu den Transportern mit 3,5 bis 5,5 Tonnen Gesamtgewicht klafft jedoch eine Lücke. Hier setzt das Schweizer Start-up Flux Mobility an und hat eine E-Transport-Lösung entwickelt, die genau auf dieses Segment zielt. Das Problem bei grossen E-Lieferwagen ortet Duga Hoti, Geschäftsführer und gemeinsam mit Bill Zollinger Mitgründer von Flux Mobility, beim Verhältnis von Reichweite und Nutzlast, entsprechend fehlten lange bei grossen E-Lieferwagen konkurrenzfähige Lösungen. Dieses Manko will die erst zwei Jahre junge Firma beseitigen und hatte sich die Entwicklungsziele von real 350 Kilometern Reichweite und 3500 kg Anhängelast gesetzt.

Öffentlich präsentiert hatte Flux ihr Projekt im Frühjahr 2022. Heute sitzen wir in einem der ersten seit vergangenem Oktober ausgelieferten Kundenfahrzeuge, um selbst zu erfahren, wie sich die Lieferwagen-Elektromobilität made in Switzerland anfühlt. Als Basis nutzt Flux den Lieferwagen MAN TGE, in dem der Dieselantrieb ausgebaut und durch einen von Flux selbst entwickelten elektrischen Antriebsstrang ersetzt wird. Idee und Ausführung von Flux haben selbst am MAN-Hauptsitz in München überzeugt, sodass eine gemeinsame Entwicklungskooperation zwischen München und Winterthur zustande gekommen ist.

Die im «Unterboden» versenkten Antriebselemente schränken die Ausnutzung des Laderaums nicht ein.
Die im «Unterboden» versenkten Antriebselemente schränken die Ausnutzung des Laderaums nicht ein.

Ambitiös unterwegs

Wir rollen im Kastenwagen aus Winterthur hinaus. Um der Fahrt auch einen direkten Nutzen zu geben, steuern wir das rund 75 Kilometer entfernte Arbon an, wo das Saurer-Museum von den früheren glorreichen Tagen mit einheimischer Nutzfahrzeugherstellung zeugt. Dass Flux durchaus ambitiöse Ziele hat respektive hoch hinaus will, lesen wir auch aus den Modellnamen heraus: Die Kastenwagenmodelle heissen «Orbit», die Chassis- Cab-Versionen «Avior» (Avior ist ein Doppelstern, einer der 50 hellsten Sterne am Nachthimmel). Das Potenzial ist vorhanden, wie wir auf den ersten Kilometern umgehend spüren. In der nur kurzen Zeit seit der Firmengründung haben die Ingenieure rund um Duga Hoti einen hochwertigen elektrischen Antriebsstrang zur Serienreife entwickelt.

Der wohnlich eingerichtete Fahrerplatz profitiert von der Qualität des MAN TGE. Die Fahrbedienung erfolgt über Tasten.
Der wohnlich eingerichtete Fahrerplatz profitiert von der Qualität des MAN TGE. Die Fahrbedienung erfolgt über Tasten.

Auf der soliden Basis des MAN TGE kann «unser» Flux Orbit seine Qualitäten ungehindert ausspielen, beschleunigt souverän und ohne Zugkraftunterbrechung und vermittelt in Ermangelung von Motorvibrationen und lauten Motorgeräuschen einen hohen Komforteindruck. Kräftig ist nicht nur das Empfinden beim Anfahren, auch die dezenten E-Motorgeräusche haben eine angenehm kraftvolle Note. Unser Fahrzeug ist mit Hinterradantrieb ausgerüstet, mit zentral im Rahmen montiertem Elektromotor, der die Kraft per Kardanwelle auf die Achse leitet. Die Batterie ist halb unter dem Fahrerhaus montiert, im ehemaligen Motorraum kommen die Elemente der Leistungselektronik unter. Seit kurzem ist nun auch eine Allradantriebsvariante mit zwei E-Motoren im Angebot.

Geschichtsträchtige Hallen

Es dauert nur etwas mehr als eine Stunde, bis wir via St. Gallen in Arbon eintreffen. Beim Depot des Saurer-Museums im alten Werk 2 erwartet uns Ruedi Baer, der bis in diesem Frühling lanjähriger Museumsleiter und Präsident des Oldtimer Club Saurer OCS war. Er öffnet uns die Tore zur Geschichte der früher weitverbreiteten Schweizer Nutzfahrzeugherstellung und damit mit dem jüngsten Spross dieser Handwerkstradition den Bogen in die Vergangenheit schlagen lässt. Wie früher Saurer und andere Schweizer Lastwagenhersteller stösst Flux bei Gemeinden und Werkhöfen auf grosses Interesse. Nach den ersten wenigen Fahrzeuge vom vergangenen Jahr sind 2023 über 100 Kaufverträge dazugekommen.

Der Flux im Depot des Saurer-Museum im ehemaligen Werk 2.

Die Auslieferungen wachsen ebenfalls stetig, doch werden vorerst alle Wagen noch am Hauptsitz produziert, wo auf dem ehemaligen Rieter-Areal in Winterthur nur eingeschränkt Werkstattplatz zur Verfügung steht. Das soll sich schon bald ändern, denn die Abklärungen und Verhandlungen für eine leistungsfähige Schweizer Produktion stehen laut Duga Hoti kurz vor dem Abschluss. In Winterthur werden dann die Hallen nur noch für die Herstellung von ganz speziellen Fahrzeugen und für die Fahrzeugentwicklung genutzt werden.

Fortwährende Entwicklung

Gewisse Entwicklungsarbeiten sind heute noch nicht ganz abgeschlossen. Beispiele dafür sind die stufenlos einstellbare Rekuperation. Oder das obligatorische künstliche Fahrgeräusch AVAS, das bei niedrigem Tempo Passanten vor dem herannahenden, flüsterleisen Elektro-Lieferwagen warnt. AVAS soll bis im Oktober bereit sein und auch in allen bereits ausgelieferten Fahrzeugen nachgerüstet werden.

Seit wenigen Tagen bietet Flux Mobility zudem als weitere Besonderheit für schwere E-Lieferwagen einen Dual-Motor-Allradantrieb an. Die Entwicklung des Systems, das in der Schweiz auf grosses Interesse stossen dürfte, wird vom Bundesamt für Energie (BFE) unterstützt. Der AWD bietet 140 kW (190 PS) Systemleistung und total 4350 Nm Drehmoment. Beim RWD-Modell misst das Drehmoment bei gleicher Leistung in etwa halb so viel.

Dual-Motor-Allradantrieb im Flux AWD.

Die Reichweite mit der aktuellen Batterie (98 kWh Kapazität) liegt bei voller Auslastung (inkl. Trailer) bei real gut 320 Kilometern. „WLTP-Messungen werden wir in Kürze ebenfalls vornehmen“, erklärt Duga Hoti. Zudem wird Flux noch 2023 eine leistungsfähigere Batterie verwenden, die eine Kapazität von über 110 kWh aufweisen soll, was die Reichweite um rund zehn Prozent erhöht, auf real gut 350 Kilometer.

Handfeste Nachteile

Nach dem Bad in der Schweizer Fahrzeugbau-Geschichte kehren wir zurück in die Automobilbau-Neuzeit und cruisen auf leisen Sohlen nach Winterthur. Dabei bringt Duga Hoti auch die aktuelle Gesetzgebung für alternative Antriebe beim Lieferwagen zur Sprache. So dürfen 3,5-Tonnen-Lieferwagen wegen des Zusatzgewichts des alternativen Antriebs bis zu 750 kg schwerer sein (4250 statt 3500 kg), bei unveränderter Nutzlast. Damit fallen sie zwar in die Kategorie Lastwagen, sie dürfen aber mit dem normalen B-Ausweis gelenkt und die Fahrzeuge dürfen auch nachts und an Wochenenden gefahren werden.

Allerdings gelangt für die Chauffeure die Arbeits- und Ruhezeitverordnung (ARV) zur Anwendung, was die Lenkzeiten deutlich einschränkt. Zudem sind die Fahrzeuge auf Tempo 90 begrenzt. Vor allem die Kantone hatten sich gegen die vorgeschlagene Ausnahmen bei Tempolimit und ARV gewehrt. Für Duga Hoti machen diese Einschränkungen keinen Sinn, denn sie stellen einen handfesten Nachteil für die schweren E-Lieferwagen dar und laufen dem Gedanken der Förderung entgegen.

Auf Anfrage sind gemäss Astra Änderungen beim Tempolimit nicht vorgesehen. Hingegen beim Thema der ARV „ist eine erneute Diskussion denkbar und möglich“, und zwar in Bezug auf die Umsetzung der Motion Dittli (Gleich lange Spiesse bei Arbeits- und Ruhezeitverordnung). Wie in der EU sollen im gewerbsmässigen Gütertransport die Lieferwagen nicht wie bisher erst ab 3,5 t unter die ARV fallen, sondern bereits ab 2,5 t. Dadurch würden die Bedingungen herkömmlicher Lieferwagen klar verschärft (Lenkzeiten) und damit der bestehende Nachteil der alternativen Antriebe etwas reduziert. Für eine entsprechende Anpassung wird es aber noch dauern.

Das Saurer-Logo, dessen Nutzungsrechte im Besitz des Oldtimer Club Saurer sind, vor dem Gebäude des ehemaligen Werk 2.
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