Schweden–Schweiz retour – im Stadtbus Citywide

REPORTAGE Bevor sich Scania letzten Sommer von der eigenen Busproduktion verabschiedet hatte, wurden für Ausschreibungen von Linienbussen auch in der Schweiz grosse Anstrengungen unternommen. Wir ermöglichen einen besonderen Blick hinter die Kulissen.

Stadtbus Scania Citywide TIR transNews
Vom Fährhafen Kiel mit dem Stadtbus Scania Citywide in die Schweiz und zurück nach Södertälje – eine aussergewöhnliche Reise.

«Rahel, hättest du Zeit, um einen Bus in Södertälje oder auch in Kiel zu holen? Und ihn dann einen Monat später auch wieder zurückzufahren?» Die Frage kommt von Claudio Albrecht, dem damaligen Leiter Verkauf Bus Scania Schweiz und heutigem Leiter Aftersales Retail. Klar habe ich Zeit. Für solche Abenteuer bin ich immer zu haben. So reise ich Anfang Februar 2023 mit dem Flugzeug nach Hamburg und im Zug weiter nach Kiel. Etwas aufgeregt bin ich allerdings, nicht zuletzt, weil mir Claudio am Vorabend mitgeteilt hat, dass auf der Fahrt zum Verschiffen in Göteborg der Bus beim Abbiegen an der rechten Seite stark beschädigt wurde. Unter anderem sind auch Fensterscheiben ausgeschlagen. So stehe ich nun mit Plastikfolie und Klebeband im Gepäck in Kiel im Terminal der Stena Line.

Die Fähre wird gerade entladen. «Bist du die, die den Bus abholen soll?», fragt mich irgendwann ein Hafenarbeiter. Der Bus springe nicht an und sei jetzt der Letzte auf dem Schiff. «Vielleicht bringst du den ja zum Laufen?!» Super … Weit hinten im riesigen Frachtraum steht der Scania Citywide einsam und verlassen da. Tatsächlich tut sich kein Wank. Viel Geblinke, doch der Motor springt nicht an. «Klappenfehler» lautet die Warnung. Ich umrunde den Bus und drücke jede Aussenklappe der Karosserie. Ist es etwa die AdBlue-Klappe? Denn auch sie wurde beim Karosserie-Malheur beschädigt. Es ist die AdBlue-Klappe. Der Bus springt an.

Stadtbus Scania Citywide TIR transNews
Die beschädigten Fenster mussten vor der Abfahrt in Kiel notdürftig repariert werden. Die AdBlue-Klappe war beschädigt und verhinderte zuerst den Motorstart auf der Fähre.

Kommt Zeit, kommt Rat

Nach der anspruchsvollen Abfahrt von der Fähre geht es direkt zu einer Glastauschfirma. Dort sollen die herausgeschlagenen Scheiben repariert werden. Es ist inzwischen Nachmittag und ich werde dort erwartet. «Zwei, drei Stunden wird die Reparatur schon dauern», meinen die Glasprofis. Das gibt mir Zeit, mich im Tankstellenshop nebenan mit Proviant einzudecken. Und es dauert seine Zeit. Dann sind in den drei Fenstern die Plexiglasscheiben montiert. Saubere Arbeit, und kaum zu erkennen, dass es nicht die originalen Scheiben sind. Genug Zeit verplempert.

Ich verabschiede mich und starte den Motor. Doch wieder tut sich kein Wank. Nach einer Stunde Telefon-Support aus der Schweiz von Frédéric Porchet läuft der Bus dann endlich. Der Schaden an der AdBlue-Klappe hat wohl noch andere Probleme ausgelöst. Es beginnt in Strömen zu regnen. Aber meine Fenster sind ja wieder rundum geschlossen. Mit 94 km/h rolle ich im 14,8 m langen Scania Citywide Hybrid über die Kasseler Berge. Die Nacht ist inzwischen hereingebrochen. Trotz viel Verkehr, Regen und Dunkelheit komme ich gut voran. Dann ein Tankstopp. Und weiter geht’s.

Um 23 Uhr versuche ich, einen Parkplatz zu finden. Gar nicht so einfach mit dem langen Bus auf den überfüllten Rasthöfen an der deutschen Autobahn. Schliesslich kann ich mich irgendwo zwischen zwei Sattelschlepper quetschen. Hinten im Bus liege ich mit Winterjacke im Schlafsack auf meiner Matte. Es ist etwas hart, aber okay. Allerdings erwache ich bereits nach gut zwei Stunden von meinem Zähneklappern. Draussen schneit es und es ist zwei Grad kalt. So ist ans Weiterschlafen nicht zu denken, ich setze meine Fahrt um 2 Uhr fort.

Bei Nacht und Schneegestöber bringt mich der Citywide stetig weiter gegen Süden. Durch die Kälte beginnt mich meine rheumatoide Arthritis zu peinigen, vor allem das linke Handgelenk schmerzt zunehmend. Das Gute daran: Die Schmerzen vertreiben die Müdigkeit. Bereits um 8 Uhr in der Früh erreiche ich den Zoll Thayngen, wo Claudio Albrecht auf mich wartet und die Abfertigung übernimmt. Ich fahre mit meinem Auto nach Hause und ruhe mich erst einmal richtig aus.

Stena Line Fähre TIR transNews
Es geht eng zu und her auf der Fähre. Der weisse Citywide wirkt neben den Lastwagen fast schon klein.

Nordwärts mit dem Citywide nach Södertälje

Nachdem der Citywide bei Scania Schweiz richtig repariert und den Kunden vorgeführt worden ist, muss einen Monat später die Reise in entgegengesetzter Richtung in Angriff genommen werden. Anfang März begleitet mich Tochter Flurina, um den Stadtbus von Kloten zurück ins Werk am Hauptsitz Södertälje zu überführen. Mit im Gepäck wieder Schlafsäcke und Matten. Doch die angekündigten Temperaturen lassen mich schon im Vorfeld nach Übernachtungsmöglichkeiten sondieren.

Nachdem Claudio Albrecht die Formalitäten erledigt hat, gibt er an diesem Freitag kurz vor Mittag unserem Frauenteam in Thayngen den Startschuss für die Fahrt nordwärts. Vor Stuttgart staut sich der Verkehr – wie üblich –, doch danach ist es erstaunlich ruhig auf der deutschen Autobahn. Die Rasthöfe sind quasi leer. Wir finden am Abend problemlos einen Rasthof mit Zimmer. Entsprechend ausgeruht, geht es in den Samstagmorgen. Auch jetzt hat es kaum Verkehr. Das Wetter ist gut, aber minus zwei Grad. Das wäre definitiv zu kalt gewesen, um nochmals im Bus zu übernachten.

Stadtbus Scania Citywide TIR transNews
Die Rückfahrt verlief beinahe schon wie durch Butter. Der Scania Citywide zurück in Södertälje.

Am Mittag sind wir bereits im Terminal der Stena Line in Kiel. Es bleibt genügend Zeit für eine Shoppingtour in Kiel, was meiner damals knapp 17-jährigen Tochter natürlich gefällt. Beladen wird am späteren Nachmittag. Wir geniessen Aussicht und Abendstimmung auf dem Oberdeck. Die Überfahrt von Kiel nach Göteborg ist für Mutter und Tochter ein grosses Erlebnis. Am Sonntagmorgen verpasse ich allerdings irgendwie den Zeitpunkt, an dem wir in Göteborg wieder zu den Fahrzeugen können. Im Frachtraum ist schon viel los und die Lastwagen vor und neben dem Bus rollen bereits von Bord. Aber die Schweden nehmen’s gelassen – es wird weder gehupt noch geschimpft.

Unsere nächste Etappe führt über Jönköping in Richtung Ostküste nach Södertälje. Am späten Nachmittag kommen wir mit unserem «Baby» auf dem Scania-Areal an. Nach einer ruhigen Nacht im nahe gelegenen Hotel bringen wir den Citywide ins wenige Kilometer entfernte Scania Demo Center. Dort nehmen wir Abschied von unserem Bus, wobei mir dieser Abschied durch eine Runde mit einem Scania 770 S versüsst wird. Der V8-Sound und die 770 PS lassen mich den Citywide (fast) vergessen. Und so melden wir uns ab und konstatieren zufrieden: «Mission erfüllt!»

Scania 770S Rahel Cathomas TIR transNews
Auf der Rückfahrt wurde Rahel Cathomas von ihrer Tochter Flurina (links) begleitet.
Visited 76 times, 1 visit(s) today

Weitere Beiträge zum Thema